Du stirbst zuerst by Dan Wells

Du stirbst zuerst by Dan Wells

Autor:Dan Wells
Die sprache: eng
Format: epub, mobi


Wieder hebe ich den Blick und sehe mich nach dem Nachtwächter um. Niemand kommt. Ich gehe um

den Tisch herum und schleiche bis auf Armeslänge an den Toten heran, dann halte ich inne. Nichts. Ich hebe einen umgestürzten Stuhl auf und schiebe ihn weg, wage mich noch näher heran. Der Raumpfleger liegt auf dem Bauch, das Gesicht, falls er eins hat, ist zum Boden gerichtet. Vorsichtig stoße ich ihn an. Da er nicht reagiert, versetze ich ihm einen kräftigen Tritt. Als er sich immer noch nicht bewegt, richte ich mich auf, blicke mich noch einmal um und packe ihn am Arm, um ihn auf den Rücken zu drehen. Im

schwachen Mondlicht erkenne ich ihn deutlicher – und es ist wahr. Es ist die ungeheuer schockierende Wahrheit. Der Mann hat kein Gesicht. Wenn ich den Kopf bewege, entsteht der Eindruck, die Luft fließe ihm in Wellen über das Gesicht. Mit angehaltenem Atem berühre ich ihn, immer noch überzeugt, er

könne jederzeit aufspringen und mich packen. Er bleibt reglos liegen. Ich strecke die Hand weiter aus, gleichermaßen fasziniert und entsetzt von der verschwommenen leeren Fläche. Ich will ihn unbedingt berühren. Kurz davor beginnen die Finger zu summen, und ich reiße überrascht die Hand zurück. Es sind die gleichen elektrischen Impulse, die ich in der Nähe eines Radios oder Fernsehers spüre. Wieder strecke ich die Hand aus und taste in der Luft umher, um mich zu vergewissern. Da ist es wieder. Dieses Gefühl kenne ich, solange ich lebe.

Medikamente hin oder her, ich habe entsetzliche Angst.

Die Gesichtslosen sind real. Der Puls pocht in Brust und Armen, und mir wird heiß. Der Mann ist real.

Ich taumle weg, setze mich auf den Boden und berge den Kopf zwischen den Knien. In den letzten zwölf Stunden habe ich hundert Milligramm Clozapin bekommen, seit Wochen hatte ich keine Halluzinationen mehr und habe nichts Seltsames gesehen, gehört und gerochen. Mein ganzes Leben ist darauf

ausgerichtet, alle nur denkbaren psychotischen Elemente auszulöschen. Ich kann nichts Irreales mehr wahrnehmen, weil es physisch und medizinisch unmöglich ist.

Doch da liegt er. Ein Gesichtsloser.

Ich ziehe mich noch weiter zurück, nur weg von dem Schrecken im Dunkeln. Er kannte meinen

Namen und wollte mich angreifen. Warum? Warum ist er hier?

Der Grund für seine Anwesenheit ist unwichtig. Er ist da, und das bedeutet, dass es noch mehr von

seinesgleichen gibt. Dies wiederum bedeutet, dass ich von hier wegkommen muss, und zwar sofort. Ich stehe auf, bücke mich und mache mich bereit, sofort wegzurennen. Aber wohin? Eigentlich sollte ich in der Klinik sicher sein. Hier gibt es Menschen, die mich bewachen und beschützen. Ich schüttle den Kopf.

Sie bewachen mich zwar, aber ob sie mich auch beschützen? Keine Ahnung.

Die Welt scheint sich wie wild um mich zu drehen. Ich muss mich an einem Tisch festhalten. Der Tote ist real, ein echter Gesichtsloser. Heißt dies nun, dass auch anderes real ist? Die Uhrenradios, die Maden, das Zyankali im warmen Wasser und all das, wovor ich mich gefürchtet habe und wovor ich

weggelaufen bin? Ist das auch wahr? Was ist mit Lucy? Es dreht sich so schnell um mich, dass ich nicht mehr mithalten kann.



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